Hormontherapie in den Wechseljahren: Mehr Fragen als Antworten
In den Wechseljahren leiden Frauen gesundheitlich wie psychisch. Die Fachwelt streitet seit Jahrzehnten über die Hormontherapie. Warum gibt es keine neue Forschung?
Manche Frauen merken von ihren Wechseljahren wenig, manche leiden sehr. Leider gehöre ich zur zweiten Gruppe. Die Phase des Wechsels von der Fruchtbarkeit in die Unfruchtbarkeit wird auch Menopause genannt. Verwirrend – wenn ich mit etwas pausiere, dann mache ich zu einem späteren Zeitpunkt mit derselben Sache weiter. Fehlanzeige, es gibt keine Rückkehr zum Status quo ante. Dass ich postmenopausal angeblich die Chance bekomme, endlich weise zu werden, ist eine kühne Behauptung, denn wenn permanent gewaltig etwas hakt in Körper und Psyche, ist das nicht gerade der Boden, auf dem Weisheit gedeihen könnte.
Wer Wechseljahre hört, denkt an Hitzewallungen. Ausgerechnet dieses eine, allseits bekannte Symptom habe ich nicht. Aber auch ohne Schweißausbrüche ist meine Liste ziemlich lang: Schlaflosigkeit, depressive Verstimmungen, Antriebsschwäche, Erschöpfung, Freudlosigkeit, Konzentrationsschwäche, Reizbarkeit, Launenhaftigkeit, innere Unruhe, Gelenk- und Muskelschmerzen, Herzrasen, Libidoverlust. Nicht zu vergessen Ausdünnung und Trockenheit der Vaginalschleimhaut.
Als klar war, dass die letzte Regel die letzte in meinem Leben war, kam zum Horrortrip der letzten Jahre mit Achterbahn und Geisterbahn noch eine Fahrt durch dicksten Nebel. Ich bin biologische Ausschussware, dachte ich, mein Körper macht mir unmissverständlich klar, dass ich nicht mehr benötigt werde. Während Männer bis ins hohe Alter lustig Kinder zeugen können (und dies auch gern tun nach der männlichen Midlife-Crisis), spricht niemand von der Endzeitkrise der Frauen – die oft schon in den 40ern beginnt.
Viel zu spät in meinem Leben erfuhr ich das Geheimnis, dass Östrogen (baut Gebärmutterschleimhaut auf) und Progesteron (führt zum Abbluten der Gebärmutterschleimhaut) keineswegs nur zum Kinderkriegen nötig sind. Erst als ich mich schon tief in der Talsohle befand, lernte ich, dass die Frauenhormone (und Testosteron) das gesamte physische und psychische System der Frau gesund und am Laufen halten – nicht nur Haut, Haar und Knochen, sondern auch unser Herz-Kreislauf-System und unsere Psyche. Und weil das so ist, bauen wir Frauen seelisch und körperlich oft rapide ab, wenn diese Hormone aus der Balance geraten und nach der letzten Blutung den ungeordneten Rückzug antreten.
Wechseljahre: Viele Frauen sind verunsichert
Worüber niemand spricht: Die Frauen bleiben – trotz zahlreicher Bücher zum Thema – mit ihren Nöten weitgehend sich selbst überlassen, denn der Grad der Verunsicherung nimmt zu, je mehr Informationen man sammelt.
Dies liegt meines Erachtens daran, dass sich die Fachwelt seit Jahrzehnten uneins ist, wenn es um die Frage geht, was die Frauen gegen ihre Beschwerden tun können. Wie kann es sein, dass zwei offenbar unversöhnliche Lager völlig gegenteilige Dinge empfehlen? Die eine Fraktion befürwortet (unter Berücksichtigung der Kontraindikationen) die Hormonersatztherapie in den Wechseljahren, die andere Fraktion ist dagegen und warnt davor.
Hormontherapie: Zuspruch und Ablehnung
Die Hormongegnerinnen würden mir sagen, dass ich gar keine Wechseljahrbeschwerden habe, weil Hitzewallungen die einzigen auf die Wechseljahre zurückzuführenden Beschwerden sind. Alles, was Frauen in dieser Lebensphase sonst noch plagt, gehört für sie zum normalen Älterwerden. Also muss Frau da durch, und wenn sie leidet, muss sie eben ihre Lebensweise ändern.
Die Befürworterinnen von Hormontherapien sind ganz anderer Meinung: Weil das Fehlen von Östrogen und Progesteron das Risiko enorm erhöht, dass Frauen Herzinfarkt, Schlaganfall, Arthrose, Rheuma, Osteoporose, Depressionen und alle möglichen anderen Krankheiten bekommen, sollten sie, um ihre Gesundheit nicht zu gefährden, (unter Berücksichtigung der Kontraindikationen) zu sog. bioidentischen Östrogen- und Progesteronpräparaten greifen. Die Gegnerinnen werfen den Befürworterinnen eine oberflächliche Anti-Aging-Haltung vor, die nichts mit würdevollem Altern zu tun habe.
Ich habe von Vertreterinnen beider Meinungen (beides Frauenärztinnen) je ein Buch gelesen. Seitdem bin ich noch verwirrter. Das Credo der Hormongegnerinnen lautet: Frauen, die in den Wechseljahren Hormone nehmen, erhöhen damit ihr Risiko, an Brustkrebs zu erkranken.
Zur Begründung berufen sie sich auf die 1992 begonnene sog. Women’s Health Initiative (WHI), einer Studie mit zwei Armen. Erforscht werden sollte, wie sich Hormongaben nicht in, sondern nach den Wechseljahren auswirken (Durchschnittsalter der Teilnehmerinnen: 62 Jahre).
Im ersten Arm der Studie wurden eingesetzt Östrogene, die aus dem Urin trächtiger Stuten gewonnen wurden (sog. konjugierte equine Östrogene, CEE); ferner war in dem Präparat Medroxyprogesteronacetat (MPA) enthalten, dessen molekulare Struktur nichts mit körpereigenem Progesteron zu tun hat.
Die Frauen, die das Medikament eingenommen hatten, bekamen im Verhältnis zu den Frauen, die ein Placebo erhalten hatten, öfter Herzinfarkt, Schlaganfall, Thrombose und Brustkrebs. Pro 1000 teilnehmende Frauen erkrankten drei Frauen mehr an Brustkrebs im Vergleich zur Kontrollgruppe. Das bedeutete 2002 das vorzeitige Ende der Studie.
Hormontherapie: Gefahr für die Gesundheit oder doch harmlos?
Ab diesem Zeitpunkt galt eine Hormontherapie als brandgefährlich. Landauf, landab rieten und raten Ärztinnen und Ärzte den Frauen davon ab; die Pharmaunternehmen bestücken seitdem ihre Beipackzettel mit ausführlichen Warnungen vor Brustkrebs.
Die Befürworterin von Hormontherapien legt ihr Augenmerk auf den zweiten Arm der Studie, der zwei Jahre später beendet wurde: Den teilnehmenden Frauen wurde ebenfalls CEE verabreicht, jedoch ohne MPA. Weil diese Gruppe aus Frauen bestand, denen die Gebärmutter entfernt worden war, wurde hier auf MPA verzichtet, weil kein Schutz der Gebärmutter veranlasst war.
Ergebnis: Die Frauen bekamen im Vergleich zur Kontrollgruppe seltener koronare Herzkrankheiten, seltener Schlaganfall, seltener Brustkrebs. Pro 1000 Frauen erkrankten an Brustkrebs 2,5 Frauen weniger im Vergleich zur Kontrollgruppe. Durchweg positiv waren auch die Ergebnisse bei Darmkrebs, Knochenbrüchen und Diabetes (wie auch im ersten Studienarm).
Da die Fachwelt aber meinte, genug zu wissen, fand das Ergebnis des zweiten Studienarms wenig Beachtung – so die Befürworterin von Hormonersatztherapie.
Im Buch der Hormongegnerin heißt es hingegen, die fünfjährige Einnahme von Östrogen erhöhe das Brustkrebsrisiko der nächsten 20 Jahre. Außerdem hätten, so die Hormongegnerin, am zweiten Studienarm nur Frauen teilgenommen, denen frühzeitig die Gebärmutter entfernt worden waren – was das Brustkrebsrisiko senke.
Die Hormonbefürworterin hält dagegen, für Frauen zwischen 50 und 60 gebe es, anders als für die teilnehmenden Frauen über 60, kein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Die Gegnerin kontert, dieser Umkehrschluss sei methodisch nicht erlaubt, das Ergebnis sei daher nicht auf andere Frauen übertragbar. Wer sich jetzt noch auf Hormone in den Wechseljahren einlässt, braucht also recht gute Nerven.
Zu wenig Aufklärung über die Folgen von Hormontherapien?
Tatsächlich tun sich aber mehr Fragen als Antworten auf: Was wäre, wenn in Wirklichkeit gar nicht CEE, sondern MPA den Brustkrebs verursacht hat, wenn also nicht die Hormone an sich, sondern die chemische Zusammensetzung von MPA ausschlaggebend war? Wie wäre wohl das Ergebnis, wenn sowohl Östrogen, als auch Progesteron aus einer Substanz gewonnen würde, deren molekulare Struktur exakt den vom Körper selbst hergestellten Hormonen entspricht und daher genau an die Hormonrezeptoren des Körpers andockt? Was wäre zum Beispiel mit Stoffen pflanzlichen Ursprungs?
Die Hormonbefürworterin schwört auf diese sog. natur-identischen Hormone (besser bekannt als „bioidentische Hormone“). Unter Beachtung aller Kontraindikationen habe die Therapie nur Vorteile und senke das Sterberisiko der Frauen. Die Hormongegnerin hält das für Versuche am Menschen.
Dass es Stellungnahmen der Autorinnen der WHI-Studie gibt, um die folgenreiche Fehlinterpretation „Östrogen macht Brustkrebs!“ zu bereinigen, wird von der Fachwelt ignoriert. Muss ich mich als medizinischer Laie nun durch alle möglichen Studien arbeiten? Oder einfach entscheiden, welcher Seite ich glauben will? Warum war es bislang offenbar nicht wichtig genug, die Fragen zu klären, ob Hormonersatztherapien mit bioidentischem Östrogen und bioidentischem Progesteron die Brustkrebsgefahr erhöhen – oder gar senken – und ob sie gegen das helfen, was wir so gern als typische weibliche Alterskrankheiten bezeichnen?
Wie kann es sein, dass sich Gegner immer noch auf eine über 30 Jahre alte Studie berufen, die weder etwas mit Wechseljahren noch mit bioidentischen Hormonen zu tun hatte? Warum werden zu bioidentischen Hormonen keine Studien aufgelegt? Und wenn es sie gibt, warum erfahren sie weniger Aufmerksamkeit als die WHI-Studie? Wann findet die Ärzteschaft zu einer hinreichend belegten, einheitlichen Linie? Die Haltung „Da muss die Frau ab 40 eben durch“ grenzt fast an Zynismus und führt dazu, dass unsere Gesellschaft Millionen Frauen im Regen stehen lässt.
Wenn wir aber sagen „Wechseljahrbeschwerden machen die Frau älter als sie eigentlich ist“, dann könnte dies bewirken, dass die massiven Beschwerden endlich so ernst genommen werden, wie sie sind und dass die Forschung diese Lebensphase verstärkt in den Fokus nimmt.
Wechseljahrbeschwerden: Kollektives Wegschauen
Da Frauen in der Lebensmitte einen beträchtlichen Teil der arbeitsfähigen Bevölkerung stellen, ist die Marginalisierung als „normales Altern“ schon ökonomisch betrachtet ein Unding. In Zeiten, in denen jede erdenkliche Personengruppe ihr Recht auf Beachtung geltend macht, ist es unerträglich, dass ein kollektiver Zustand des Wegschauens auf dem Rücken jeder einzelnen Frau ausgetragen wird.
Weibliche Gesundheit wird degradiert zur Glück- und Privatsache. Und das ist ein politischer Skandal, wenn auch, leider, keine Überraschung: Die Medizin hatte eben jahrhundertelang nur den männlichen Körper im Blick, weil Generationen von Medizinern der Meinung waren, die Frau funktioniere wie ein Mann, nur dass sie manchmal eben etwas „hysterisch“ sei!
Mechtild Blankenagel ist Autorin und als systemische Beraterin in Berlin tätig. Vor ihrer Ausbildung zur systemischen Beraterin für Paare, Familien und Einzelpersonen hat die promovierte Juristin viele Jahre als Rechtsanwältin gearbeitet.
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